Fallen Review

by Horst Tellioglu (telliogl AT pop DOT tuwien DOT ac DOT at)
March 21st, 1998

FALLEN (1998)
Eine filmkritik von Horst Tellioglu
Copyright 1998 Horst Tellioglu

Darsteller: Denzel Washington, John Goodman, Embeth Davidtz, Donald Sutherland, James Gandolfini, Elias Koteas, Gabriel Casseus Regisseur: Gregory Hoblit
Drehbuch: Nicholas Kazan

"You know, I haven't the least idea what he means, unless it could be that he simply means what he says." [Aus, p.232]

Wir können /Fallen/ sehen und uns über die religiöse symbolik ärgern. Wieder einmal ein film, der die biblischen erzählungen benützt um eine schwache geschichte aufzuladen. Oder wir können uns von einer detektivgeschichte unterhalten lassen, in der eine religiöse weltordnung nur als austauschbarer hintergrund dient. Doch was könnte austauschbarkeit hier heißen? Könnten die religiösen mächte des films einfach durch beliebige übernatürliche kräfte ersetzt werden?

Klar ist, dass der film in einen kulturellen hintergrund eingebettet ist, der die austauschbarkeit beschränkt. So wundern wir uns nicht, wenn die symbolik biblisch ist, da der film aus den U.S.A. stammt.

Eine weitere reaktion wäre, sich von der religion im film nicht weiter stören zu lassen. Immerhin zeigt uns /Fallen/ religiöse kräfte, von denen nach offiziellen statistiken 85 prozent der bewohner nordamerikas und europas glauben, dass sie existieren. So gesehen, müsste das wohl die häufigste reaktion sein. Das macht es interessant, die geschichte ernst zu nehmen, und zu untersuchen, wie diese glaubensinhalte im film dargestellt werden. Mit ernst nehmen meine ich, sich der psychoanalytischen konditionierung widersetzen und die zeichen nicht als indirekte, sondern als direkte vertreter der dinge lesen.

Die hauptfigur in /Fallen/ ist der im dritten buch von Mose (Levitikus 16,8) erwähnte Azazel. Er wird als wüstendämon beschrieben, dem im ritual von Yom Kippur derjenige ziegenbock geopfert wird, der später als /sündenbock/ berühmt werden sollte. Im diesem ritual wird jedoch nicht nur der sündenbock geopfert. Ein zweiter bock ist als opfer für Jahwe bestimmt. Bemerkenswert ist dabei, dass der "für den Herrn" bestimmte ziegenbock stirbt, während der für Azazel freigelassen wird, um, mit allen sünden der juden beladen, in die wüste zu laufen. Dieser sündentransport erklärt im Deutschen seine bezeichnung als sündenbock. Dass er Jahwe entkommt, führt zu seinem namen im Englischen: scapegoat - the goat that escapes. Azazels name selbst könnte von Hebräisch 'ez 'ozel stammen, das "bock der weggeht" bedeutet. "Scapegoat" könnte demnach als ein versuch, Azazels name zu übersetzen, verstanden werden.

Manche meinen auch zu wissen, dass Azazel selber die gestalt eines ziegenbocks hatte. Das wäre durch den film erklärbar, in dem der dämon nur kurze zeit in rein geistiger form überleben kann und dann wieder von lebendigen körpern besitz ergreifen muss. Allerdings wäre es dann ein leichtes ihn zu töten: einfach keine böcke mehr in die wüste schicken. Und das ist auch die idee, auf die John Hobbes (Denzel Washington) und Gretta Milano (Embeth Davidtz) kommen.

Nun gibt es Azazel natürlich nur, weil an ihn geglaubt wird und ihm böcke geschickt werden. Das fatale ist aber, dass sich einerseits die spielregeln nicht auf einer individüllen ebene festlegen lassen, und das es, was noch schlimmer ist, regeln zu geben scheint, von denen niemand etwas weiss. Diese geheimen regeln führen dann auch zu einem überraschenden und etwas unbefriedigendem ende. Die dedektivische arbeit des polizisten Hobbes, an der die erzählung des filmes festgemacht ist, besteht nämlich darin, herauszufinden, wie das zürst unbekannte funktioniert.

Dabei erfahren wir von der theologin Gretta Milano, dass es ratsam ware, sich vom unbekannten verursacher der ereignisse fernzuhalten, nicht nachzufragen, seinen namen nicht auszusprechen. Sie präsentiert uns damit ein wesentliches prinzip des religiösen: die ansteckende übertragung.
Die welt wird von religionisten bekanntlich in die zwei bereiche des heiligen und des profanen geteilt. Zwischen diesen beiden bereichen liegt ein abgrund. Es darf zu keiner berührung kommen, da sich einerseits das heilige durch die geringste berührung von gegenstand zu gegenstand überträgt, andererseits das profane das heilige in die gefahr der entweihung bringt. Beide bereiche müssen daher streng auseinandergehalten werden.

John Hobbes antwortet auf die frage ob er religös sei, dass er zwar ab und zu in die kirche gehe, dass das aber als polizist etwas schwierig sei. Es ist nicht nur schwierig, weil er so viel böses in seiner täglichen arbeit sieht. Es ist schwierig, da die welt der polizei dem bereich des profanen angehört. Dem entsprechend versucht die jungfrau Gretta Milano, sich von ihm fernzuhalten. Er würde ihre heilige reinheit gefährden, die sie versucht zu bewahren bis der entscheidende moment eintritt.

Damit wird ein zweites grundlegendes prinzip eingeführt: die teilung der religiösen kräfte in reine und unreine. Diese zwei arten des religösen stehen ebenfalls in einem durch verbote aufrecht erhaltenen gegensatz, durch den sich Gretta Milano zu retten versucht. Sie muss sich nicht nur vom profanen fernhalten, sondern auch von den unreinen und bösen kräften. Eine minimale voraussetzung dafür ist natürlich, auf sex zu verzichten.
Azazel gehört als dämon zu der unreinen variante des heiligen. Dämonen sind als böse geister verwandte der guten geister, den engeln. Die katholiken glauben, dass Satan und die übrigen dämonen engel waren, die "sich aus freiem willen weigerten, Gott und seinem ratschluss zu dienen". [Kat, p.136] Augustinus meint, dass engel die beamten unter den geistern sind. Beide arten von geistern sind der seele nachgebildet, die einem materiehaufen diejenige form gibt, die ihn zu einem menschen macht. Geister wären also so etwas wie eine reine form und so gesehen ist Azazel, als eine variante von geist, die nicht als reine form existieren kann, eine sympathische idee. Als haupt- und identifikationsfigur des films muss er das wohl auch sein. Hier scheint auch der grösste und interessanteste bruch mit der christlichen ideologie zu liegen, die der film aufweist. Eine zusätzliche kleinere verschiebung ist die indirekte betonung der jüdischen tradition.

Dem reinen heiligen, wie es uns in der gestalt von engeln und der entsagenden frau entgegentritt, steht auf mehrere weisen John Hobbes gegenüber. Er ist nicht nur polizist und damit profan, sondern auch schwarz und damit unrein. Es kommt, dieser logik folgend richtigerweise, zu keiner sexuellen beziehung zwischen der weißen theologin und dem schwarzen polizisten.

Dieses ausbleiben des erwarteten verweist auch auf eine andere rolle, die Denzel Washington im film The Pelican Brief spielte. Dort wurde John Grishams buch extra umgeschrieben, damit es, dem rassenverbot Hollywoods entsprechend, nicht zu sex zwischen Gray Grantham (Denzel Washington) und Darby Shaw (Julia Roberts) kommt. Das erstaunlichste daran ist, wie plump dies noch 1993 geschieht. Denzel Washington scheint in seinen rollen noch hinter die integrationistische funktion Sidney Poitiers in den frühen 60er jahren zurückzufallen.

In Heart Condition (1990) hat die von Washington gespielte figur zwar sex und sogar ein kind mit einer weißen frau, die ist aber prostituierte und außerdem kostet ihm das natürlich das leben. Worauf er den grössten teil des filmes als geist (!) durch die gegend läuft.

In /Fallen/ umarmen sich Gretta Milano und John Hobbes, bevor letzterer sich in dem kampf mit Azazel begibt. Diese berührung des profanen mit dem reinen heiligen schwächt Hobbes, der bis dahin immun gegen die heilige ansteckungskraft Azazels war, und bereitet ihn als opfer für das unreine heilige vor. Die berührungsverbote, die bereiche des heiligen und profanen getrennt halten sollen, werden in den berührungsverboten zwischen den rassen gespiegelt.

In einer überraschenden wendung wird John Hobbes schließlich sogar als erzähler der geschichte mit Azazel identifiziert. Obwohl Hobbes körper erst am ende von Azazel befallen wird, hat er schon den ganzen film hindurch mit seiner stimme gesprochen.

Horst Tellioglu
http://st1hobel.phl.univie.ac.at/cinetext

Literatur:

[Aus] John Langshaw Austin: Performative Utterances. In Philosophical Papers, Oxford, 1979, ISBN 0-19-283021-X

[Bog] Donald Bogle: Toms, Coons, Mulattoes, Mammies, & Bucks. New York, 1996

[Dur] Emile Durkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt am Main, 1994, ISBN 3-518-28725-7

[Kat] Ecclesia Catholica: Katechismus der Katholischen Kirche. Oldenbourg, Wien, 1993 ISBN 3-7029-0353-4

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